Mitzieheffekt: Kein Fahrverbot trotz Rotlichtverstoß?
Veröffentlichungsdatum: 9. April 2021
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Über eine rote Ampel zu fahren, kann sehr gefährlich werden, weshalb Rotlichtverstöße häufig nicht nur Bußgelder und Punkte nach sich ziehen, sondern auch ein Fahrverbot. Können Sie allerdings nachweisen, dass Sie ein Opfer des Mitzieheffekts wurden, können Sie Ihren Führerschein möglicherweise behalten. Aber was ist der Mitzieheffekt eigentlich? Und wie wirkt er sich auf die Entscheidung von Gerichten aus?
So funktioniert der Mitzieheffekt
Vom Mitzieheffekt ist die Rede, wenn Sie sich von anderen Personen oder auch einer bestimmten Situation zu einer Handlung verleiten lassen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dieses Phänomen lässt sich in vielen Alltagssituationen beobachten, so z. B. auch immer wieder an Ampelkreuzungen.
Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass Sie hinter einem anderen Auto an einer roten Ampel warten. Plötzlich fährt Ihr Vordermann noch während der Rotphase los und Sie lassen sich ganz automatisch von ihm mitziehen. Als Folge davon begehen Sie einen Rotlichtverstoß. Ähnliches kann passieren, wenn es verschiedene Ampeln je Fahrspur gibt. Hat dann der Verkehr neben Ihnen Grün und fährt los, kann der Mitzieheffekt bewirken, dass Sie automatisch ebenfalls anfahren, obwohl die Ampel für Ihre eigene Fahrspur noch Rot zeigt.
In beiden Fällen war Ihnen natürlich bewusst, dass Sie eigentlich nur losfahren dürfen, wenn die Ampel für Sie Grün zeigt. Durch den Mitzieheffekt haben Sie sich aber unbewusst durch das Verhalten anderer Fahrer dazu verleiten lassen, gar nicht auf Ihre eigene Ampel zu achten und trotzdem loszufahren.
Welche Konsequenzen Sie bei einem Rotlichtverstoß erwarten, erfahren Sie in unserem Video:
Wenn der Mitzieheffekt als Augenblicksversagen gewertet wird
Haben Sie durch Ihren Rotlichtverstoß jemanden gefährdet oder stand die Ampel bereits länger als eine Sekunde auf Rot, droht Ihnen ein Fahrverbot von einem Monat. Dies soll Sie dazu erziehen, in Zukunft genauer auf die Verkehrsregeln zu achten.
Es gibt aber auch Situationen, in denen das Gericht von einem sogenannten Augenblicksversagen ausgeht. Das heißt, dass ein Fahrer unbeabsichtigt und nur aufgrund einer bestimmten Situation den Verkehrsverstoß begangen hat und ihm zuzutrauen ist, dass ihm das unter anderen Umständen nicht passiert wäre. Dies ist z. B. möglich, wenn der Fahrer vom Mitzieheffekt betroffen war.
In einem solchen Fall kann unter Umständen davon ausgegangen werden, dass der Fahrer seinen Fehler nicht so bald wiederholen wird und dass das Fahrverbot als Denkzettel nicht notwendig ist. Auch die anderen Sanktionen wie Bußgelder und Punkte können dann unter Umständen milder ausfallen.
Bußgeldrechner: Das erwartet Sie bei einem Rotlichtverstoß
Eine Übersicht über die möglichen Sanktionen finden Sie in dieser Tabelle.
Fahrverbot: ja oder nein? Das Gericht entscheidet
Ob ein Augenblicksversagen vorliegt, muss jedoch immer im Einzelfall entschieden werden, was wiederum dem zuständigen Gericht obliegt. Waren Sie vom Mitzieheffekt betroffen und haben deshalb einen Rotlichtverstoß begangen, stehen Ihre Chancen aber gar nicht so schlecht, wie frühere Urteile zeigen.
So erging es z. B. einem 25-jährigen Pizzalieferanten, der im Jahr 2007 an einer roten Rechtsabbiegerampel hielt. Als die Ampel für die Geradeausspur auf Grün wechselte, fuhr er los, obwohl für seine Spur immer noch Rot galt. Er beging damit zwar einen qualifizierten Rotlichtverstoß, aber das Gericht stufte sein Verhalten als augenblickliche Unachtsamkeit ein. Er musste 100 Euro Bußgeld zahlen und kam ohne Fahrverbot davon (AG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.11.2007 – 912 B-OWi 37451/07).
Dieser Fall ist nur einer von vielen, in denen Gerichte ähnlich entschieden und den Betroffenen das Fahrverbot trotz qualifiziertem Rotlichtverstoß erließen (z. B. OLG Frankfurt, AZ: 2 Ss-OWi 411/04 oder OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.06.2002, AZ: 2 Ss 94/01).
Doch der Mitzieheffekt ist kein Garant dafür, dass Ihnen das Fahrverbot nach einem Rotlichtverstoß erlassen wird. Dies zeigt z. B. ein jüngeres Urteil von 2019 aus Karlsruhe. Auch hier hatte eine Autofahrerin die Ampeln der verschiedenen Spuren verwechselt und war irrtümlich bei Rot losgefahren. In ihrem Fall genügte dem Gericht der Mitzieheffekt jedoch nicht als Entschuldigung. Die Fahrerin musste 200 Euro Bußgeld zahlen und ein einmonatiges Fahrverbot ableisten (OLG Karlsruhe Beschl. v. 24.1.2019 – 2 Rb 8 Ss 830/18).
Letzten Endes sind also nicht nur die individuellen Umstände entscheidend, sondern auch das Wohlwollen des Gerichts. Wollen Sie den Richter überzeugen, dass Sie vom Mitzieheffekt betroffen waren, kann sich die Beratung durch einen Verkehrsrechtsanwalt lohnen.
Bußgeldtabelle zum Rotlichtverstoß
Beschreibung | Bußgeld | Punkte | FahrverbotFVerbot | Lohnt ein Einspruch? |
---|---|---|---|---|
Ampel bei "Rot" überfahren | 90 € | 1 | Hier prüfen ** | |
... andere gefährdet | 200 € | 2 | 1 Monat1 M | Hier prüfen ** |
... Sachschaden verursacht | 240 € | 2 | 1 Monat1 M | Hier prüfen ** |
Ampel bei "Rot" überfahren (Rot bereits seit mehr als 1 Sekunde) | 200 € | 2 | 1 Monat*1 M* | Hier prüfen ** |
... andere gefährdet | 320 € | 2 | 1 Monat*1 M* | Hier prüfen ** |
... Sachschaden verursacht | 360 € | 2 | 1 Monat*1 M* | Hier prüfen ** |
An einer Ampel mit grünem Pfeil nach rechts abgebogen, ohne vorher zu halten | 70 € | 1 | Hier prüfen ** | |
... Fußgänger- oder Fahrradverkehr der freigegebenen Verkehrsrichtung behindert | 100 € | 1 | Hier prüfen ** | |
... andere gefährdet | 100 € | 1 | Hier prüfen ** | |
... Sachschaden verursacht | 120 € | 1 | Hier prüfen ** | |
*je nach Tatbegehung auch Geldstrafe, Führerscheinentzug und Freiheitsstrafe bis 5 Jahre gemäß § 315c StGB möglich |