Unfall beim Überholen von Rechtsabbiegern: Die Haftung bleibt bestehen
Veröffentlichungsdatum: 13. März 2024
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Beim Überholen von Fahrzeugen kommt es immer wieder zu Unfällen. Wer dann zu welchem Anteil für die entstandenen Schäden haften muss, ist eine Frage, die Gerichte fast täglich beschäftigt. Ein besonders kniffliger Fall landete vor kurzem vor dem Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein: Der klagende Autofahrer verursachte zwar den Unfall durch unzulässiges Überholen eines Rechtsabbiegers. Besagter Rechtsabbieger provozierte den Unfall aber auch gleichzeitig dank eines ebenso unzulässigen Linksschwenks.
Unfall beim Rechtsabbiegen: Wer haftet?
Der Unfallhergang ist schnell skiziert: Der Kläger fuhr hinter dem Beklagten, welcher nach rechts auf sein Grundstück abbiegen wollte. Um mehr Platz für den Wendevorgang zu haben, fuhr der Beklagte zunächst nach links auf die Fahrbahnmitte, obwohl er seinen Blinker rechts gesetzt hat.
Sein Hintermann sah dies zwar, wollte die Gelegenheit aber trotzdem nutzen, um den Rechtsabbieger zu überholen. Dann kam es zum Unfall. Während der Kläger behauptete, mit genug Seitenabstand und angepasster Geschwindigkeit überholt zu haben, war der Beklagte der Auffassung, sein Hintermann habe viel zu schnell und viel zu dicht an ihm vorbeifahren wollen.
Nun lag es am Gericht, zu entscheiden, was bzw. wer mehr Schuld am Unfall hatte: Unerlaubtes Überholen oder der Rechtsabbieger, der nach links ausgeschert war.
Rechtsabbieger verhielt sich verkehrswidrig
Sowohl Landgericht als auch OLG stellten zunächst fest, dass gleich beide Fahrer gegen mehrere Vorschriften aus der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen haben: Der Vordermann habe sowohl §9 Absatz 1 als auch Absatz 5 StVO missachtet. Dort heißt es:
“Wer nach rechts abbiegen will, hat sein Fahrzeug möglichst weit rechts […] einordnen, und zwar rechtzeitig”
§ 9 Abs.1 Satz 2 StVO
und
“Wer ein Fahrzeug führt, muss sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.”
§ 9 Abs. 5 StVO
Ein Linksschwenker, wie der Beklagte ihn vollführt hat, ist in einer solchen Situation im Straßenverkehr zwar nicht ungewöhnlich, aber trotzdem unzulässig.
Unfall durch falsches Überholen mitverursacht
Doch auch der Kläger kommt vor Gericht nicht gut weg:
“Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger sein Überholmanöver nicht durch Blinken angekündigt und ist zudem rücksichtslos und gefährlich gefahren.”
OLG Schleswig-Holstein, Az. 7 U 94/23, Rn. 28
Mit seinem Fahrverhalten habe der Kläger gleich gegen zwei Vorschriften verstoßen: § 5 Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers) und § 1 Abs. 2 StVO (Grundregeln im Straßenverkehr, Gefährdungsverbot).
Der Unfall wäre ohne Überholen des vorausfahrenden Rechtsabbiegers so nicht entstanden. Daher war das Gericht zumindest von einer Mitschuld des Klägers überzeugt.
Rücksichtslose Fahrweise ursächlich für Unfall
Daneben habe der Kläger sich des Überholens bei einer unklaren Verkehrslage schuldig gemacht – ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 StVO. Wann eine unklare Verkehrslage gegeben ist, hat das Gericht ebenfalls ausgeführt:
“Eine unklare Verkehrslage i. S. d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO liegt dann vor, wenn nach allen Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden darf”
OLG Schleswig-Holstein, Az. 7 U 94/23, Rn. 29
Die Beweiserhebung im Prozess hat ergeben, dass dem Kläger das Beklagtenfahrzeug schon lange vor dem Zusammenstoß wegen seiner unsicheren Fahrweise und einiger kleinerer Fahrfehlern aufgefallen war. Ein gewissenhafter Autofahrer hätte in so einer Situation wissen müssen, dass sein geplanter Überholvorgang erhebliche Risiken nach sich zieht, und sich dementsprechend dagegen entschieden.
Haftungsverteilung nach Unfall ist Einzelfallfrage
Nachdem das Gericht alle relevanten Fakten und Verstöße festgestellt hat, teilte es die Haftungsquote auf 60 zu 40 zulasten des Klägers auf. Zwar habe der Falschabbieger definitiv Vorschriften der StVO missachtet, was in den allermeisten Fällen einen hohen Haftungsanteil (wenn nicht sogar eine alleinige Haftung) nach sich zieht.
Der Kläger sei aber deutlich gefährlicher gefahren. Während der Vordermann immerhin geblinkt, seine Geschwindigkeit vor dem Abbiegen reduziert hat und “nur” falsch abgebogen ist, hat der Kläger unnötigerweise versucht, viel zu schnell mit einem viel zu geringen Seitenabstand zu überholen.
Nur ein paar Sekunden später wäre der Weg für ihn sowieso frei gewesen. Dass der Kläger trotzdem überholen wollte und damit ein erhebliches Verletzungsrisiko für beide Beteiligten in Kauf nahm, zeuge von einem rücksichtslosen Verhalten, welches sich letztendlich auch in der Haftungsverteilung widerspiegelt.