Reaktionszeit beim Bremsen: Können Sie rechtzeitig anhalten?
Letzte Aktualisierung am: 5. Oktober 2024
Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten
Welche Rolle spielt die Reaktionszeit eines Menschen im Straßenverkehr?
Im Idealfall bewegen sich Autofahrer wach und stets aufmerksam durch das mitunter nervenanspruchsvolle Verkehrsgewühl. Dabei läuft das menschliche Gehirn auf Hochtouren. Es muss sinnvolle und wichtige Umweltwahrnehmungen von irrelevanten Informationen trennen – und dies permanent.
Doch auf deutschen Straßen bewegen sich nicht nur idealtypische, muntere und permanent achtsame Fahrer. Ein aufgedrehtes Radio, Kindergeschrei von den Rücksitzen oder Erschöpfung nach einem langen Arbeitstag verlangen dem reizüberfluteten Hirn deutlich mehr ab. Rennt in dieser Situation ein Reh über die Straße oder bremst der Vordermann unerwartet, kommt es schnell zum Unfall.
Doch wie schnell genau passiert dies? Wie lange benötigt ein Fahrer im Durchschnitt, um zu reagieren und einen Zusammenstoß zu vermeiden?
In diesem Ratgeber dreht sich alles um die Reaktionszeit beim Autofahren – wie lässt sie sich berechnen? Welchen Einfluss hat sie auf den Bremsweg?
Inhaltsverzeichnis:
FAQ: Reaktionszeit
Die Reaktionszeit meint den Zeitraum, der zwischen dem Erkennen eines Hindernisses oder Ereignisses und der Reaktion hierauf liegt (z. B. zwischen der Wahrnehmung von einem Reh auf der Straße und dem Auslösen der Bremsen oder anderen Reaktionen).
Im Straßenverkehr kommt die Reaktionszeit insbesondere bei der Berechnung des Reaktionsweges zum Einsatz. Dieser ergibt sich aus der gefahrenen Geschwindigkeit eines Fahrzeugs und der Reaktionszeit. Bei der Berechnung wird unter idealen Bedingungen eine Reaktionszeit von 1 Sekunde angenommen. Aus Reaktions- und Bremsweg ergibt sich der Anhalteweg.
Ablenkungen am Steuer gibt es viele, nicht nur das Handy. Jede Ablenkung aber kann zur Verlängerung der Reaktionszeit führen.
Wie entsteht die Reaktionszeit?
Die Reaktion auf Gefahren erfolgt in der Regel reflexhaft. Sie ist also nicht im eigentlichen Sinne durchdacht. Aus diesem Grund haben viele den Eindruck, die erforderliche Handlungsweise – etwa ausweichen oder bremsen – sofort und automatisch ausgeführt zu haben.
Doch trotz der Reflexhaftigkeit der Reaktion geschieht diese nicht ohne Zeitverzögerung. Zuallererst sehen Fahrer nämlich ein Objekt oder eine Situation, ohne diese bewusst wahrzunehmen. Erst bei Wahrnehmung einer potenziellen Gefahr werden die Sinne direkt darauf geschärft – die Fahrer fokussieren also ihre Augen auf das Objekt.
Anschließend folgt die eindeutige Zuordnung als Gefahr. Erst dann tritt die reflexhafte Antwort ein und der Fahrer bremst oder weicht aus. Die Reaktionszeit zwischen dem ersten (unbewussten) Sehen des Problems bis zur Einleitung der erforderlichen Maßnahmen liegt im Schnitt bei 180 Millisekunden (0,18 Sekunden).
Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h legen Sie in diesem Zeitraum bereits ca. 2,5 Meter zurück! Bei 80 km/h kostet Sie die Reaktionszeit ca. 4 Meter.
Die Reaktionszeit messen und den zurückgelegten Weg berechnen
Wie bereits erwähnt liegt die durchschnittliche Reaktionszeit bei 180 ms. Sie dauert länger, wenn eine Blickzuwendung erst notwendig ist. Dann liegt diese bei ca. 350 ms. Reaktionstests im Internet können Ihnen dabei helfen, Ihre persönliche Reaktionszeit herauszufinden.
Auch im Zuge einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) werden solche Tests durchgeführt.
Um zu berechnen, wie viel Strecke Sie während der Reaktionszeit zurücklegen, müssen Sie zunächst die Geschwindigkeit in Meter pro Sekunde umwandeln. Dazu teilen Sie die Km/h-Zahl durch 3,6. Dadurch wissen Sie, wie viele Meter Sie in einer Sekunde zurücklegen.
So legen Sie bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h beispielsweise 13,88 Meter pro Sekunde zurück. Nun multiplizieren Sie diesen Wert mit Ihrer persönlichen Reaktionszeit in Sekunden. Liegt diese bei beispielhaften 0,5 Sekunden, bewegen Sie sich in dieser Zeit um 6,94 Meter.
In dieser Tabelle finden Sie Richtwerte, welche von einer Reaktionszeit von 200 Millisekunden ausgehen. Bedenken Sie, dass die Vollbremszeit (Reaktionszeit + Fußumsetzzeit + Ansprechzeit) bei ca. 800-1000 Millisekunden liegt.
Gefahrene Geschwindigkeit | Während der Reaktionszeit zurückgelegter Weg |
---|---|
30 km/h | 1,67 Meter |
40 km/h | 2,22 Meter |
50 km/h | 2,78 Meter |
60 km/h | 3,33 Meter |
70 km/h | 3,89 Meter |
80 km/h | 4,44 Meter |
90 km/h | 5 Meter |
100 km/h | 5,56 Meter |
110 km/h | 6,11 Meter |
120 km/h | 6,67 Meter |
130 km/h | 7,22 Meter |
Den Weg der erweiterten Reaktionszeit berechnen? Diese Formel hilft Ihnen auf die Sprünge!
Viele begegnen dem Begriff der Reaktionszeit in der Fahrschule zum ersten Mal. Hier werden allerdings die Begriffe der Reaktionszeit und der „Vorbremszeit“ oftmals Synonym verwandt. Dabei spielen bei der zweiten Verzögerungszeit zusätzliche Komponenten eine Rolle:
- Die Zeit, in welcher der Fuß das Pedal wechselt
- Die Ansprechzeit: Hier wird die Verzögerung zwischen Betätigen des Pedals und dem Einsetzen der Bremswirkung gemeint
- Die halbe Schwellzeit: Bei diesem Zeitraum handelt es sich um den Moment zwischen dem Beginn der Wirkung der Bremsanlage und deren voller Entfaltung
Diese drei Faktoren bestimmen zusammen mit der Reaktionszeit den sogenannten Reaktionsweg. Die zu berücksichtigende Zeit betrifft in diesem Fall ca. eine Sekunde.
Folgende Faustformel kommt an dieser Stelle zum Einsatz:
Reaktionsweg = (Geschwindigkeit in km/h ÷ 10) x 3
Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h müssen Sie laut Formel mit einem Reaktionsweg von 15 Metern rechnen.
Reaktionszeit und Bremsweg: Zusammenhänge
Als Bremsweg wird der zurückgelegte Weg eines Autos bezeichnet, welches eine Vollbremsung durchführt. Dabei startet die Berechnung in dem Moment, in welchem der Fahrer in die Eisen steigt. So erschreckend lang dieser zurückgelegte Weg auch ist: Hinzu müssen die Reaktionszeit und Ansprechzeiten addiert werden, um einen korrekten Anhalteweg zu errechnen.
Die korrekte Berechnung des gesamten Bremsweges inklusive Reaktionsweg ist oftmals ein Bestandteil der theoretischen Fahrschulprüfung. Dabei kommt eine weitere Faustformel zum Einsatz.
Sie können den reinen Bremsweg mit folgender Formel berechnen:
Bremsweg = (Geschwindigkeit in km/h ÷ 10) 2
Bei 50 km/h beträgt die zurückgelegte Bremsstrecke zum Beispiel: 25 Meter. Der Anhalteweg – also der Bremsweg mit Reaktionszeit – beträgt bei dieser Geschwindigkeit also 15+25, also 40 Meter. Mehr Infos zum Anhalteweg finden Sie auch in unserem Video:
Inwieweit verzögert sich die Reaktionszeit mit Alkohol?
Nicht umsonst zieht das Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss scharfe Strafen nach sich. Alkoholisierte Fahrer sind auf mehreren Ebenen nicht mehr in der Lage, so gut zu fahren wie nüchterne Autoführer.
Unter anderem beeinflussen hochprozentige Getränke die Reaktionszeit negativ. Bereits ab einem Blutalkoholgehalt von 0,2 Promille ist die Sehfähigkeit insbesondere nachts bei entgegenkommenden Scheinwerfern reduziert. Eine potenzielle Gefahrenquelle wird daher erst verspätet wahrgenommen. Ab 0,5 Promille beträgt die Einschränkung der Sehfähigkeit bereits 15 %. Eine Rotlichtschwäche kann ebenfalls eintreten.
Hinzu kommt, dass alkoholisierte Fahrer dazu neigen, Risikosituationen als ungefährlicher einzuschätzen. Bis das benebelte Gehirn eine Gefahrenquelle als solche einschätzt, ist es in vielen Fällen daher zu spät.
Weitere Verzögerungsgründe der Reaktionszeit
Doch nicht nur Alkohol und Drogen – auch weitaus „harmlosere“ Umstände führen dazu, dass Sie eine Gefahr erst nach einiger Zeit als solche wahrnehmen. Im Folgenden finden Sie die gängigsten Ursachen für eine verzögerte Reaktionszeit beim Autofahren.
Müdigkeit
Nicht umsonst sind LKW-Fahrer gewissen Lenk- und Ruhezeiten unterworfen, welche dafür sorgen, dass die Schwerlastfahrer ihrer Arbeit möglichst ausgeruht nachgehen können. Insbesondere bei langen Streckenfahrten macht sich eine aufkommende Müdigkeit drastisch bemerkbar. Die Reaktionszeit verlängert sich nach vier Stunden Fahrt im Schnitt um ganze 50 %.
Fahren Sie nachts oder bei erschwerten Bedingungen – etwa im Schnee, im vollen Innenstadtverkehr oder bei Nebel – treten die Ermüdungserscheinungen deutlich schneller auf.
Ablenkung
Sei es laute Musik, ein schreiendes Kind oder ein Handy in der Hand: Unaufmerksamkeit und Ablenkung sind eine der Hauptursachen für eine verlängerte Reaktionszeit. Aus diesem Grund ist es auch verboten, mit einem Handy in der Hand Auto zu fahren.
Bei Verstößen drohen ein Bußgeld von 60 Euro sowie ein Punkt in Flensburg. Somit handelt es sich nicht um ein Kavaliersdelikt.
Die Polizei warnt: Handybenutzung am Steuer entspricht in Sachen Reaktionszeit mindestens einem Promillegehalt von 0,8. Öfter verdoppelt sich die Verzögerungszeit jedoch gar. So legen Sie bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h nahezu 18 Meter während der Reaktionszeit zurück!
Wiederkehrende Reize
Eine besondere Herausforderung besteht für Fahrer, deren Augen und Gehirn sich repetitive Motive bieten. Fahren Sie beispielsweise auf einem Weg entlang mehrerer Kuhweiden, werden die Bewegungen der Tiere nach einem gewissen Zeitraum unterbewusst als „normal“ und „harmlos“ eingestuft.
Bewegt sich nun ein Rind auf die Straße zu, erkennt Ihr Gehirn dies aufgrund der zahlreichen und ähnlichen vorausgegangenen Bewegungsmuster erst verspätet als Gefahr – etwa, wenn der Zaun kaputt ist. Die Reaktionszeit verlängert sich also aufgrund dieses Gewöhnungseffektes.
Insbesondere in Spielstraßen und in der Nähe von Spiel- und Kindersportplätzen ist daher Vorsicht geboten. Nur, weil die letzten drei Kinder rechtzeitig stehen geblieben sind, gilt dies nicht zwangsweise für das nächste Kind.
Schlechte Sehleistung
Eine Gefahr kann nur als solche wahrgenommen werden, wenn der Betroffene sie rechtzeitig sieht. Menschen, welche eine Brille benötigen, müssen diese daher auch beim Autofahren tragen. Liegt die Sehschwäche bereits beim Erwerb des Führerscheins vor, wird dies in dem Dokument festgehalten. Tragen Sie Ihre Brille trotz Eintragung nicht, droht bei einer Polizeikontrolle ein Verwarngeld von 25 Euro.
Doch nicht nur eine fehlende Sehhilfe führt zu einer schlechten Sicht: Große Helligkeitskontraste lassen Ihre Augen besonders schnell ermüden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Sie bei hellem Sonnenschein durch viele Tunnel fahren müssen – oder etwa bei Sonneneinstrahlungen, welche durch die Blätter von Alleebäumen scheinen.
Achten Sie in diesen Situationen besonders auf erste Ermüdungserscheinungen, häufiges Blinzeln oder brennende Augen. Legen Sie gegebenenfalls eine Pause ein oder wechseln Sie sich mit einem anderen Fahrer öfter ab. Dies gilt auch für Nachtfahrten. So vermeiden Sie, dass Ihnen eine zu lange Reaktionszeit zum Verhängnis wird.
Tipps für eine gute Reaktionszeit im Straßenverkehr
Die natürliche Reaktionszeit des Menschen sorgt immer wieder für mitunter schwere Unfälle. Jeder Fahrer kann aber dafür sorgen, dass seine persönliche Verzögerungszeit möglichst kurz bleibt. Folgende Tipps können Ihnen dabei helfen:
- Schalten Sie das Radio nicht zu laut ein
- Planen Sie bei langen Fahrten alle zwei Stunden Pausen und regelmäßige Fahrerwechsel ein – spätestens alle vier Stunden sollten Sie eine lange Pause machen
- Programmieren Sie Ihr Navigationsgerät vor dem Abfahren und nicht während der Fahrt
- Testen Sie Ihre eigene Reaktionszeit in einem Online-Test im wachen und müden Zustand: So bekommen Sie ein besseres Gespür für die Unterschiede
- Essen Sie nicht beim Fahren: Legen Sie lieber eine gemütliche Esspause ein
- Rauchen Sie nicht beim Fahren: Fliegende Glut kann ablenken, zudem verschlechtert der Rauch Ihre Sicht
- Halten Sie lieber einmal öfter an: Auch für quengelnde Kinder stellt eine Pause eine willkommene Abwechslung dar und sorgt mitunter für mehr Ruhe im Auto
- Telefonieren Sie nur mittels einer Freisprechanlage, fahren Sie bei anspruchsvollen oder emotionalen Gesprächen an den Fahrbahnrand
- Achten Sie auf erste Müdigkeitsanzeichen: Brennende Augen, häufiges Gähnen und Verspannungen deuten darauf hin, dass Sie zu müde zum Autofahren sind
- Bitten Sie Ihre Mitfahrer gegebenenfalls um Rücksicht
Achten Sie nicht auf Ihre geistige Fitness und Ihre Aufmerksamkeitsspanne beim Autofahren, begehen Sie unter Umständen eine Verkehrsstraftat. Gemäß § 315c des Strafgesetzbuches (StGB) gilt:
(1) Wer im Straßenverkehr
1. ein Fahrzeug führt, obwohl er […]
b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel
nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen […]
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Ignorieren Sie Warnzeichen, welche auf eine drastisch verlängerte Reaktionszeit hindeuten, verstoßen Sie nämlich gegen eine der Grundregeln der Straßenbenutzung in Deutschland:
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. (§1 StVO)
wieviel beträgt die
Reaktionszeit bei einem Menschen ca30 bez. 50 Jahre bei Blickwinkel um und über 180 Grad
Ihre Angaben sind nur bei gerader Sichtweite Danke wenn Rückantwort
Empfehlung zur Fehlerkorrektur
Im Abschnitt “Wie entsteht die Reaktionszeit?” heißt es im dritten Absatz ” .. Einleitung der erforderlichen Maßnahmen liegt im Schnitt bei 0,55 bis 0,65 Sekunden (5,5 bis 6,5 Millisekunden).”
0,55 Sekunden sind aber 550 Millisekunden!
Im folgenden Abschnitt “Die Reaktionszeit messen …” steht ” … Wie bereits erwähnt liegt die durchschnittliche Reaktionszeit zwischen 5 ms und 7 ms ”
Das ist falsch. Realistische Zeiten auf visuelle Reize liegen um die 180 Millisekunden.
Gruß,
Wolfgang
Hallo Wolfgang,
vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Text dahingehend überarbeitet.
Die Redaktion von bussgeldkatalog.org