Urteile im Abgasskandal – Welche sind für Autobesitzer von Bedeutung?
Letzte Aktualisierung am: 12. September 2024
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Verbraucher wartet lange auf Urteile zum Abgasskandal
„Die Zeit heilt alle Wunden – aber meinen manipulierten Diesel nicht!“ – Seit Bekanntwerden des Abgasskandals sind bereits einige Jahre ins Land gezogen und noch immer warten Verbraucher auf einige Entscheidungen höherer Instanzen. Allerdings hat sich in den letzten Jahren diesbezüglich auch einiges getan.
Die Anzahl der Urteile zum Abgasskandal ist inzwischen kaum noch überschaubar und ist im Großteil doch verbraucherfreundlich ausgefallen. Zahlreiche Betroffene konnten bereits ihre Ansprüche geltend machen und Schadensersatz von den Autoherstellern verlangen oder ein Ersatzfahrzeug fordern. Derzeit stehen jedoch noch Entscheidungen zu den Verjährungsfristen aus. Diese können sich auf laufende Verfahren auswirken und Ansprüche gestatten oder ausschließen.
Welche wegweisenden Urteile sind im Abgasskandal bereits gefallen? Was wurde aus der Musterfeststellungsklage und inwieweit helfen einzelne Urteile überhaupt anderen Verbrauchern? Wie können etwaige Schadenersatzansprüche gegen die Hersteller geltend gemacht werden? Wir sagen Ihnen, welche relevanten Urteile bereits existieren und welche noch ausstehen und bringen Sie so auf den aktuellsten Stand.
Inhaltsverzeichnis:
FAQ: Urteile zum Abgasskandal
Ja, der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19) bestätigt, dass die Verwendung der Software u. a. in der Baureihe EA 18 EU 5 durch VW eine arglistige Täuschung darstellt und somit Schadensersatzansprüche der Autokäufer begründet. Eine Übersicht zu wichtigen Urteilen bezüglich VW finden Sie im Ratgeber „VW-Urteile“
Im Februar 2020 wurde ein Vergleich zwischen VW und der klagenden Verbraucherzentrale geschlossen. Welchen Inhalt dieser hat und was das für betroffene Autobesitzer bedeutet, erfahren Sie hier.
Als Begründung wurde hier oft angebracht, dass es keine rechtliche Grundlage für einen Schadensersatzanspruch gäbe. Dies ist mit dem Urteil des BGH vom Mai 2020 jedoch nichtig. In den letzten Jahren bezogen sich Entscheidungen zu Gunsten der Autohersteller allerdings eher auf die Verjährung der Ansprüche, die in der Regel nach drei Jahren einsetzt.
Updates zu wichtigen Urteilen im Abgasskandal
Update 2020/21: Am 25.05.2020 hat der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil festgehalten, dass VW schadensersatzpflichtig ist (Az. VI ZR 252/19), da der Einsatz der Software als sittenwidrig anzusehen ist. Darüber hinaus begann am 30.09.2019 die Verhandlung zur Musterfeststellungsklage gegen VW. AM 28.03.2020 veröffentlichte das Oberlandesgericht Braunschweige den Abschluss eines Vergleichs zwischen VW und der Verbraucherzentrale (vzbv), der eine Summe von 830 Millionen Euro zum Inhalt hat. 235 000 an der Klage beteiligte Betroffene erhalten somit eine Entschädigung von VW.
Hinweisbeschluss und erfolgtes Urteil des BGH in Sachen Abgasskandal
Lange Zeit war es betroffenen Kfz-Inhabern nur einzeln möglich, zu handeln. Ansprüche konnten höchstens gegen Händler geltend gemacht werden. Auf maßgebende Entscheidungen von höheren Instanzen wie den Oberlandesgerichten (OLG) oder gar dem Bundesgerichtshof warteten Verbraucher und Händler einige Jahre. Am 22. Februar 2019 wies der BGH im Rahmen eines Urteils im Abgasskandal (VIII ZR 225/17) darauf hin, dass …
bei einem Fahrzeug, welches bei Übergabe an den Käufer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, vom Vorliegen eines Sachmangels auszugehen sein dürfte (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB), weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde besteht und es damit an der Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung (Nutzung im Straßenverkehr) fehlen dürfte. (Pressemitteilung Nr. 022/2019 des BGH).
Was bedeutet der Hinweisbeschluss des BGH für Verbraucher? Grundsätzlich sind solche Hinweise oder Urteile von höheren Instanzen nicht mehr oder weniger bindend als Entscheidungen von Landesgerichten. Allerdings dienen Urteile des obersten Zivilgerichts immer auch als Orientierung für andere Instanzen.
In erster Linie bestärkte dieser Hinweis Verbraucher darin, Ansprüche gegen die Händler geltend zu machen. Aber inwiefern richtete sich der Beschluss direkt gegen die Hersteller (VW, Seat, Audi etc.)? Die Volkswagen AG vertrat lange die Auffassung, dass Schadenersatzklagen direkt gegen VW keine rechtliche Grundlage hätten. Der Behauptung der Hersteller zufolge reichten die Argumente im Abgasskandal nicht aus, um wirklich einen Schaden oder sogar einen Verlust zu begründen.
Dem Hinweisbeschluss folgte dann am 25.05.2020 das Grundsatzurteil des BGHs (Az.: VI ZR 252/19). In diesem untermauerte der Bundesgerichtshof seinen Hinweis und bestätigte die Linie der Land- und Oberlandesgerichte, welche sich seit 2019 etabliert hatte. VW hat mit dem Einsatz der Software in Dieselfahrzeugen „vorsätzliche sittenwidrig“ gehandelt und ist somit schadensersatzpflichtig. Zudem habe „VW […] das Kraftfahrtbundesamt bei der Typzulassung der Autos mit EA 189-Motoren arglistig getäuscht.“
Für einige kann das Urteil allerdings zu spät, da ihre Ansprüche am 31.12.2019 verjährten. Hiervon sind geschätzt etwa 2 Million Autobesitzer betroffen. Anders sieht das im Fall der Musterfeststellungsklage aus. Mit der rechtzeitigen Einreichung oder Anmeldung bei der Musterfeststellungsklage wurde die Verjährung der Ansprüche gestoppt. Für die Teilnehmer endete die Verjährung am 04.01.2021.
Die Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Bundesverband
Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild sind in Deutschland nicht möglich. Am 1. November 2018 trat jedoch ein neues Gesetz in Kraft, welches ein neues Klageinstrument einführte: Die Musterfeststellungsklage. Auch diese ist nicht mit der US-amerikanischen Sammelklage zu verwechseln. Nur qualifizierte Einrichtungen können Voraussetzungen und etwaige Rechtsansprüche zwischen Verbrauchern und Unternehmern begehren (§ 606 Zivilprozessordnung). Im Abgasskandal übernimmt diese Rolle die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Zusammenarbeit mit dem ADAC. Seit November ist daher ein Klageregister eröffnet, mit dem Verbraucher sich ggf. der Klage anschließen können. Darüber informiert unter anderem das Bundesamt für Justiz (BfJ) sowie auch die vzbv.
Ziel der Klage war es, feststellen zu lassen, dass VW gegenüber den geschädigten Fahrzeugbesitzern schadensersatzpflichtig ist. Am 30.09.2019 fand die erste mündliche Verhandlung diesbezüglich vor dem Oberlandesgericht Braunschweig statt. Eine Fortsetzung gab es a 18.11.2019. Die Veröffentlichung der Entscheidung erfolgte am 28.02.2020.
Vor dem OLG Braunschweig einigten sich die vzbv und der Volkwagenkonzern auf einen Vergleich, der Schadensersatz für Autobesitzer vorsah, die sich an der Musterfeststellungsklage beteiligt hatten. Mit der Annahme des Vergleichs zog der vzbv die Klage gegen den Konzern am 30.04.2020 zurück.
Kunden konnten und können teilweise auch einzeln vor Gericht gegen Volkswagen & Co. vorgehen. Inwieweit sich dieser Vergleich auf Urteile gegenüber anderen Autoherstellern auswirkte bzw. noch auswirkt, ist schwer festzustellen. Bei Individuelle Klagen gegen Autokonzerne werden in der Regel auch nur die Umstände dieses Falls betrachtet. Allerdings bietet das Grundsatzurteil des BGHs meist eine wichtige Orientierung, sodass davon ausgegangen werden kann, dass dies auch auf diesen Vergleich zutrifft.
Vergleich zwischen VW und Verbraucherzentrale: Was beinhaltet dieser?
Mit dem Vergleich, der andere Urteile im Abgasskandal durchaus untermauert, verpflichtet sich VW zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 830 Millionen Euro. Dieser Beträgt wird bzw. wurde an die 250.000 an der Musterfeststellungsklage Beteiligten ausgezahlt.
Wie viel Betroffene letztendlich erhalten, hängt vom Fahrzeugmodell und vom Modelljahr ab. Summen zwischen 1.300 und 6300 Euro waren möglich. In der Regel handelte es sich durchschnittlich um etwa 15 Prozent des Kaufpreises.
Wie sah es vor der BGH-Urteil und dem Vergleich aus?
Achtung, ab hier folgen teilweise veraltete Informationen (Stand August 2021).
Als die ersten Informationen zum Abgasskandal ans Licht kamen, ging es zunächst nur um Diesel-Fahrzeuge von Volkswagen. Nach und nach stellte sich heraus, dass auch Modelle der VW-Tochterfirmen Audi, Seat und Škoda betroffen sind. Mittlerweile sind zudem Unregelmäßigkeiten bei Porsche aufgedeckt worden, auch bei BMW und Daimler kam es nachweislich zu Manipulationen. Während Volkswagen-Kunden in den USA bereits entschädigt wurden, schauten die betroffenen Autobesitzer in Deutschland immer noch in die Röhre. Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild sind in Deutschland nicht möglich, deshalb gibt es keine allgemeingültigen Urteile im Abgasskandal, auf die sich alle Betroffenen berufen können. Das Grundsatzurteil des BGHs dient lediglich der Orientierung und kann nicht auf alle Verfahren übertragen werden. Es wird immer nach Einzelfall geurteilt.
Weiterhin liegt es an jedem Kunden selbst, für seine Rechte einzustehen. Das kostet jedoch Zeit und Geld. Um ihre Erfolgschancen einschätzen zu können, fragen sich deshalb viele, welche Urteile im Abgasskandal bereits von Gerichten gefällt wurden. Wir geben Ihnen einen Überblick.
2018 gab es nur wenige Urteile zum Abgasskandal
Wie bereits eingehend erläutert wurde, muss normalerweise jeder Kunde, der vom Abgasskandal betroffen ist, selbst vor Gericht gegen Volkswagen, Seat, Daimler & Co.vorgehen. Doch welche Urteile sind im Abgasskandal bereits gefällt worden?
Eine gute Übersicht lieferte der ADAC. Dem Automobilclub lagen Mitte Juli 2018 Informationen über 953 Verfahren vor Gericht vor. Davon wurden 690 zugunsten des Kunden gefällt, wobei 309 dieser Klagen gegen einen Händler und 381 gegen den jeweiligen Hersteller gerichtet waren.
Bei einer geringeren Anzahl von 263 Verfahren wurde jedoch dem Händler bzw. Hersteller Recht gegeben. Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass viele der Urteile im Abgasskandal noch nicht rechtskräftig sind – unter anderem, weil Volkswagen & Co. zumeist Berufung einlegen, wenn gegen sie entschieden wurde.
Ein für den Abgasskandal besonders wichtiges Urteil wurde am 27.03.2018 vom Oberlandesgericht Köln gefällt (Az.: 18 U134/17). Laut diesem gilt, dass Kunden auch dann vom Kauf zurücktreten können, wenn das Software-Update, welches die Schummelsoftware entfernt, schon durchgeführt wurde. Des Weiteren hat das Gericht festgelegt, dass der Nutzungsersatz, der bei der Rückabwicklung vom Hersteller gefordert wird, neu berechnet werden muss. Das bedeutet, dass Betroffene, die ihren Wagen zurückgeben, für die bereits gefahrenen Kilometer weniger Geld als Ersatz an den Hersteller zahlen müssen.
Wie verhält es sich mit Klagen von Anlegern?
Auch Anleger gehen mit Klagen vor Gericht gegen Volkswagen, Seat & Co. vor. Sie möchten Ansprüche durchsetzen, da sie beim Absturz der Aktien der Autobauer viel Geld verloren haben. Sie bemängeln, dass sie nicht früh genug über den Skandal informiert wurden und damit keine Zeit mehr hatten, die Aktien vor dem Einbruch loszuwerden.
Auch hier gibt es keine Sammelklage nach US-amerikanischem Vorbild, jedoch lassen deutsche Gerichte sogenannte Musterklagen zu. Anleger können sich einer solchen Klage anschließen. In einem Musterverfahren wird der Fall dann für einen Betroffenen geklärt. Für die anderen gilt das Urteil anschließend auch. 2018 lagen noch keine abschließenden Urteile im Abgasskandal vor, da die Verfahren sehr umfangreich sind und entsprechend viel Zeit in Anspruch nehmen. Bisher wurde lediglich in einigen Fällen entschieden, dass es tatsächlich zu einem Musterverfahren kommt (u. a. OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.03.2017, Az.: 3 Kap 1/16).
Update 2021: Derzeit laufen mehrere Musterverfahren von Anlegern gegen den VW-Konzern. Zum einen findet seit 2018 eine Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Braunschweig statt. Hier klagt die Deka Investment GmbH gegen die Volkswagen AG und die Porsche Automobil Holding SE. Geklärt werden soll, ob VW die Aktionäre hätte früher über den Abgasskandal informieren müssen. Im Juni 2021 fanden die Verhandlungstage 11 und 12 statt. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen.
Zum anderen gibt es eine Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Auch hier klagen Aktionäre gegen die VW-Dachgesellschaft Porsche SE (PSE). Die nächsten Verhandlungstermine sind für November 2021 anvisiert. Es soll hier geklärt werden, ob über die finanziellen Folgen des Abgasskandal durch VW zu spät informiert wurde.